Leitlinien für ein neues, mordernes NRW-Strafvollzugsgesetz

Düsseldorf. Die Häufung von Ausbruchsversuchen aus der Bochumer Haftanstalt und der aktuelle Ausbruch eines Häftlings aus dem Dortmunder Gefängnis, der seit Tagen flüchtig ist, machen Schlagzeilen. Vor allem die Opposition mit CDU-Fraktionsvize Peter Biesenbach benutzt die Vorfälle zu umfassender Kritik an Justizminister Thomas Kutschaty (SPD). Er habe "seinen Apparat nicht im Griff". Der aktuelle Schlagabtausch erreicht Kutschaty (SPD) zur Unzeit, weil er grundlegende Veränderungen im Strafvollzug einführen will: NRW will weg vom "Verwahrvollzug".

Der Strafvollzugsbeauftragte des Landes, Professor Michael Walter, war in das Team eingebunden, das Leitlinien erarbeitet hat, die der Justizminister im April vorstellen will. Die Leitlinien sollen die Grundlage für ein neues Strafvollzugsgesetz bilden - eines mit vielen Neuerungen.

Ein eigener Abschnitt der Leitlinien beschäftigt sich mit den Opfern. Schon bei der Vollzugsplanung, aber auch beim Übergangsmanagement von Leben in Haft zur der Zeit danach soll "der Opferaspekt systematisch und konsequent in das neue Gesetz eingebracht werden". Die Opfer sollen erfahren, wo der Straftäter einsitzt und wann er entlassen wird. Neu ist auch das Modell der "family conferences" (Familienkonferenzen), das nach Angaben Walters noch in diesem Jahr in einer NRW-Haftanstalt erprobt werden soll. Im Ausland wird es schon erfolgreich praktiziert.

Freunde, Bekannte und Angehörige der Betroffenen beraten vor der Haftentlassung mit Täter und Opfer, um zu klären, welche Bedingungen an eine vorzeitige Haftentlassung geknüpft werden sollten. Wenn das Opfer im Alltag eine Begegnung mit dem Täter verhindern will, kann mit dem Häftling vereinbart werden, dass er einen bestimmten Stadtteil meidet. Das kann das Gericht dem Häftling als verpflichtende Auflage erteilen. Mit dem Projekt betritt die NRW-Justiz in Deutschland Neuland.

Walter zu weiteren Aspekten der Leitlinien: "Das ist ein Konzept, das Momente ängstlich-unbeweglichen Verwahrvollzuges, bei dem die Mitarbeiter in erster Linie auf persönliche Absicherung bedacht sind, überwinden will. Maßgeblich für die Vollzugsgestaltung sollen die Zielvorstellungen sein, die auf eine soziale Integration der Straffälligen gerichtet sind."

Insoweit komme es auf den Geist des Gesetzes an, nicht auf den Buchstaben. "Dienst nach Vorschrift, die strikte Einhaltung aller Vorschriften, führen zum Stillstand."

Walter setzt bei den Mitarbeitern in den Gefängnissen auf das Verantwortungsprinzip - etwa, wenn einem Häftling bei einem triftigen Grund Ausgang gewährt werden soll. "Es sollen die integrations- und die opferbezogenen Maßnahmen ergriffen werden, die verantwortet werden können." Dabei müsse berücksichtigt werden, dass es Menschen sind, die da handeln - und dass daher keine absolute Perfektion geboten werden könne. "Entsprechende Anforderungen wären unerfüllbar - was klar gesagt werden muss, auch zum Schutze der Mitarbeiter im Strafvollzug", betont Walter. Kritisch sieht Walter die derzeit übliche Praxis von Disziplinarmaßnahmen in Gefängnissen. Wenn einem Häftling vorgeworfen werde, einen Bediensteten beleidigt zu haben, habe der Häftling kaum eine Möglichkeit, seine eigene Sichtweise darzulegen.

Die Vorgeschichte des Konflikts werde selten wahrgenommen und aufgearbeitet, der Häftling erlebt quasi Ankläger und Richter in einer Person - dem JVA-Mitarbeiter. "Eigentlich müsste der Sachverhalt strukturell wie vor Gericht geklärt werden", sagt Walter.

Faktisch erlebe der Gefangene, dass er Nachteile erwarten muss. Vor allem im Jugendvollzug stößt das - wie Häftlingsbeschwerden belegten - oft auf Unverständnis. Walter setzt Hoffnung in ein Mediationsverfahren, das erprobt werden soll.

Walter wäre es lieb, wenn in diese Zukunft geblickt würde. "Die aktuellen politischen Machtkämpfe wirken sich auf den Strafvollzug ungünstig aus." Die Bediensteten in den Gefängnissen würden durch entsprechende Attacken "ohne Not verunsichert".

VON HEINZ TUTT