DVD: Herr Professor Walter, das Institut des Justizvollzugsbeauftragten folgt dem des Ombudsmannes, das nach dem Foltermord in der Justizvollzugsanstalt Siegburg geschaffen wurde. Sie sind seit Anfang dieses Jahres mit dieser Aufgabe betraut. Sehen Sie sich im Falle gravierender Sicherheitsstörungen eher als Absicherungsinstrument für das Ministerium oder hat der Justizvollzugsbeauftragte auch die Aufgabe, an der inhaltlichen Weiterentwicklung des Vollzuges mitzuwirken?

Die Aufgaben des Justizvollzugsbeauftragten ergeben sich aus einer Allgemeinen Verfügung des NRW-Justizministeriums. Danach ist der Justizvollzugsbeauftragte – wie vormals der Ombudsmann – Ansprechpartner für alle vom Justizvollzug Betroffenen, für Gefangene ebenso wie für Bedienstete und auch für andere Betroffene, etwa Ehrenamtliche oder Angehörige Gefangener. Doch gehen die Kompetenzen des Justizvollzugsbeauftragten über die des Ombudsmannes hinaus. Ihm ist außerdem aufgegeben, an der künftigen Gestaltung und an der Verbesserung des Vollzuges mitzuwirken. Die Einblicke in die Praxis und die gewonnenen Erfahrungen sollen in die vollzuglichen Planungen einfließen und kriminalpolitisch verwertet werden.

Mir liegt daran, das Verständnis des Vollzuges durch die Verbindung dieser Praxisbezüge mit den kriminologischen Grundlagen zu vertiefen und diese Einsichten mit den maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Vollzugsgestaltung zu verbinden. Das soll in ständiger Kommunikation mit der Praxis geschehen, im gegenseitig anregenden und weiterführenden Gespräch. Eine zeitgemäße Kriminalpolitik kann sich nicht mehr nur auf medial verstärkte oder gar gesteuerte Stimmungen verlassen, sondern muss sich rational auf empirische Fakten und entsprechendes Wissen stützen und dieses Wissen zugleich fortwährend erneuern und erweitern.

DVD: Das Institut des Ombudsmannes verfolgte vorrangig das Ziel “Druck aus dem Kessel Strafvollzug“ zu nehmen. Die Schwerpunkte für die Arbeit des Justizvollzugsbeauftragten sind mit einem neuen Statut differenzierter ausgestaltet worden. Dieses setzt einen wesentlichen Schwerpunkt bei der Entwicklung vollzuglicher Standards. Sehen Sie hier die Priorität Ihrer Arbeit und nicht so sehr darin, für den Vollzug Partei zu ergreifen, wenn etwas schief gelaufen ist?

Meine Aufgabe sehe ich nicht darin, irgendwelche „Feuerwehrtätigkeiten“ zu übernehmen. Als erstes kommt es darauf an, den Vollzug realistisch wahrzunehmen. Der Strafvollzug ist ein von Menschen geschaffenes und von Menschen betriebenes System, das gesellschaftlichen Schutz erstrebt. Dieser Schutz lässt sich nicht durch ein perfektioniertes Wegsperren erreichen. Ein Gefängnis, das nur das Ziel verfolgt, durch die Inhaftierung und innerhalb der Haft „für Ruhe zu sorgen“, wäre eine Stätte der Leblosigkeit und verdeckten Aggression, in der die Fähigkeiten der Gefangenen, das Leben draußen zu meistern, verloren gingen. Der Sicherheit der Allgemeinheit dient nicht die wirklichkeitsfremde Vorstellung einer lückenlosen Isolierung, sondern vor allem die Arbeit und Auseinandersetzung mit den Gefangenen, die auf die Bewältigung des Lebens nach der Entlassung ohne Straftaten gerichtet ist. Dafür ist berufliche Qualifizierung und Fortbildung unabdingbar.

Da sich die Medien oft mehr für Skandale als für die alltäglichen Leistungen im Vollzug interessieren, besteht für die Vollzugsverwaltungen die ständige Gefahr, aus Angst vor entsprechenden Skandalisierungen und ihren politisch-personellen Folgen einseitig die Absicherung – durch Mauern ebenso wie durch Fachgutachten – zu betreiben. Währenddessen gerät dann die eigentliche gesellschaftliche Aufgabe leicht aus dem Blick. Man könnte insoweit von einer Art sozialer Neurose des Getriebenwerdens sprechen, die einer vernünftigen Planung im Wege steht, vielmehr zu einer undurchdachten Ad-hoc-Politik verführt.

DVD: Sie haben das Interesse der Medien am Strafvollzug angesprochen. Sehen Sie eine Ihrer Aufgaben auch darin, das Bewusstsein der Öffentlichkeit dahingehend zu schärfen, auf die einem solchen Prozess innewohnenden Risiken angemessen und nicht hysterisch zu reagieren?Schließlich lassen sich bei der Erprobung von Straftätern in Lockerungsmaßnahmen Missbrauchsrisiken nicht mit letzter Sicherheit ausschließen.

Es kommt darauf an, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und die Wiedereingliederung der Straftäter im Zusammenhang und nicht als Gegensatz zu begreifen. Die Lockerungen haben geradezu die Funktion, die sozialen Kompetenzen und Kontakte des Gefangenen zu entwickeln, eben um weiterer Straffälligkeit vorzubeugen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verknüpfung wiederholt und sehr zu Recht betont. Den besten Schutz der Bevölkerung bewirkt ein Vollzug, der die Gefangenen nicht „scharf macht“, mit Hass und Aggressionen erfüllt, sondern der Integrationsperspektiven mit den entsprechenden innergesellschaftlichen Verflechtungen und Kontrollen bietet.

Die Formen des Umgangs mit Gefangenen, insbesondere die schrittweise Vorbereitung auf die spätere Entlassung, müssen selbstverständlich die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung im Blick behalten. Zu ihnen gehört, wie gesagt, auch die soziale Einbindung und Kontrolle der Gefangenen. Lockerungen, die insoweit unverzichtbar sind, vermitteln bei der gebotenen Weitsicht nicht weniger, sondern mehr Sicherheit. Sie werden übrigens nach unseren inzwischen jahrzehntelangen Erfahrungen nur äußerst selten  zu einem andere Menschen gefährdenden Verhalten missbraucht. Wir können freilich in keinen Gefangenen hineinsehen, Menschen sind – glücklicherweise – nie vollständig berechenbar. Daher erscheint mir die Forderung, dass beispielsweise bei der Gewährung eines Ausgangs ein Normbruch mit Sicherheit auszuschließen sein müsse, realitätswidrig und im Übrigen unredlich. Zu betonen ist die Verantwortung der im Vollzug Tätigen. Jede Lockerung setzt eine vorherige Entscheidung voraus, die diesen Schritt angesichts der konkreten Umstände als verantwortbar erscheinen lässt. Die richtige Frage lautet: Ist oder war es zu verantworten, diesen oder jenen Gefangenen in einer bestimmten Weise zu lockern? Wie in der Medizin ist die Entscheidung bejahendenfalls auch rückwirkend betrachtet kein Fehler gewesen, auch wenn der Gefangene dann doch versagt hat. Selbst aus einer tödlich verlaufenen Operation darf wegen des schlechten Ausgangs nicht schon auf einen ärztlichen Kunstfehler geschlossen werden.

Zu berücksichtigen ist beim Vollzug, in welcher Vollzugsphase sich ein Inhaftierter befindet. Rückt der Entlassungszeitpunkt näher, ist der Vollzug geradezu verpflichtet, den Häftling schrittweise auf dieses Ereignis vorzubereiten. Demgegenüber wird der Maßstab bei einem anderen Gefangenen, dem noch eine längere Haftphase bevorsteht, deutlich strenger sein.

DVD: Sehen Sie beim Eintritt gravierender Sicherheitsstörungen im Strafvollzug nicht das Risiko, dass die Öffentlichkeit zu Lasten des Wiedereingliederungsgedankens sehr schnell nach mehr Sicherheit ruft?

Wir haben meiner Ansicht nach die Aufgabe, der Öffentlichkeit immer wieder die tatsächlichen Zusammenhänge verständlich zu machen und vor falschen und simplifizierenden Wunschvorstellungen zu warnen. Auf unserem Planeten gibt es an keinem Ort und in keinem Lebensbereich eine absolute Sicherheit. Wo auch Menschen tätig werden, ob im Krankenhaus, in der Schule oder bei Freizeitangeboten, werden Fehler, auch folgenreiche Fehler, gemacht. Der Strafvollzug kann zu keiner Enklave umgestaltet werden, in der diese allgemeinen Lebensgesetzte gleichsam außer Kraft gesetzt sind. Weil dem so ist, wird es auch künftig keinen Strafvollzug geben, in dem die von Ihnen genannten Störungen ausgeschlossen sind. Im Gegenteil: Je mehr nur einseitig auf Mauern, Stacheldraht und Sicherheitstechnik gesetzt wird, desto eher wird der „Faktor Mensch“ die scheinbar perfekte Welt stören. Die Ereignisse im Sicherheitsgefängnis Aachen geben ein beredtes Beispiel.

DVD: Sehen Sie damit die Verantwortlichen des Strafvollzuges und sich selbst in der Pflicht, der Öffentlichkeit immer wieder zu vermitteln, dass dem Strafvollzug ein sicherheitstechnisches Restrisiko innewohnt, mit dem wir als Gesellschaft leben müssen?

Das Wort „Restrisiko“ weckt irreführende Vorstellungen. Es ist besetzt durch die Diskussion um die Kernenergie. Die Situation im Strafvollzug ist jedoch schon strukturell mit der der atomaren Bedrohung in keiner Weise vergleichbar. Es wäre nebenbei gesagt schön gewesen, wenn wir nur einen Funken der Ängste und Sorgen vor gefährlichen Gefangenen schon vor der nunmehr eingeleiteten Energiewende gegenüber der Nutzung der Kernenergie auf dieses Feld übertragen hätten! Die gedanklich verdrängte atomare Verseuchung ruft unabänderliche Verwüstungen größten Ausmaßes hervor, während die durch menschliche Übergriffe geschlagenen Wunden individueller Natur sind und zumindest häufig bis zu einem gewissen Grade wieder heilen können. Wegen dieser elementaren Unterschiede halte ich es für unangemessen, in unserem Kontext den Begriff des „Restrisikos“ zu verwenden. Wir müssen Gefahren mindern und ihnen vorbeugen, zum Verschwinden bringen lassen sie sich nicht. Ich kann mich nur wiederholen: Es gibt keinen Lebensbereich ohne Gefahren. Schon Erich Kästner hat treffend formuliert: „Das Leben ist lebensgefährlich.“

Unsere Gefahrenwahrnehmung hat sich von den tatsächlichen Risiken ein Stück weit abgekoppelt. Wenn wir uns im Straßenverkehr bewegen, empfinden wir die oft erheblichen Leibes- und Lebensgefahren – bis hin zu Querschnittslähmungen und Tod - praktisch kaum. Aus den sich ereignenden Unfällen leiten wir regelmäßig keine Folgerungen oder Forderungen nach mehr Sicherheit ab. Meist gilt: „Freie Fahrt für freie Bürger!“. Koste es, was es wolle. In Bezug auf den Vollzug hat die Gesellschaft hingegen eine überaus niedrige Reizschwelle. Hier darf nichts passieren. Ereignet sich ein Störfall, wird sofort gefragt, ob nicht das gesamte System – von den Straftatbeständen bis hin zum Strafvollzug – grundlegend geändert werden müsse.

DVD: Würden Sie es als wünschenswert ansehen, wenn die Kompetenzen und Zuständigkeiten des Justizvollzugsbeauftragten mittelfristig in den Strafvollzugsgesetzen des Landes verankert würden?

Grundsätzlich möchte ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Situativ besteht allerdings kein Handlungsdruck. Denn die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen, die mein Team und ich vorfinden, sind gut und förderlich.

DVD: Sie üben Ihr Amt seit Anfang des Jahres aus, haben die Phase der Selbstorganisation hinter sich gelassen und erste Erfahrungen gewinnen können. Wie wird das Institut des Justizvollzugsbeauftragten von der vollzuglichen Praxis, der Administration und nicht zuletzt der Wisenschaft aufgenommen?

Die bislang gewonnenen Erfahrungen kann ich insgesamt als sehr ermutigend bezeichnen. Freilich begegnen mir gelegentlich diejenigen, die sich seiner Zeit für die Figur des Ombudsmanns eingesetzt hatten, angesichts der erfolgten Veränderungen mit einer gewissen Zurückhaltung. Die ist aber nicht aus der Sache heraus begründet, da ich ja weiterhin die Funktionen des Ombudsmannes sehr ernst nehme und die Bearbeitung der Eingaben noch effektiver zu gestalten versuche. Mein Bemühen geht dahin, auch diese Menschen durch unsere Arbeit zu überzeugen, und in dieser Hinsicht bin ich ebenfalls zuversichtlich.

Aus den Eingaben hat sich eine Reihe von thematischen Anstößen und Anregungen ergeben, die die weitere Arbeit vorstrukturieren. Sie reichen von der Tätigkeit einzelner Gremien über Aus- und Fortbildungsfragen bis hin zu Gesichtspunkten der Vollzugsgestaltung. Aus anfänglich tastenden und neugierigen Gesprächen mit der Vollzugspraxis haben sich inzwischen Formen der förderlichen – und Freude bereitenden – Zusammenarbeit entwickelt.

Was mir in dieser Hinsicht besonders am Herzen liegt, sind die Aktivitäten, die man gemeinhin unter der Überschrift der opferbezogenen Vollzugsgestaltung zusammenfasst. Ich wünsche mir, zusammen mit der Praxis sowohl den Tatausgleich als auch den konkret-personenbezogenen Opferschutz zu erweitern und zu verbessern. Es entsteht hier ein Vorhaben, dessen erste Ansätze mich ermutigen, das Anliegen weiterhin und mit Nachdruck zu betreiben.

DVD: Herr Professor Walter, beabsichtigen Sie, sich jeweils durch Besuche vor Ort einen Eindruck von der jeweiligen Ausgestaltung der Behandlung und Betreuung sowie der Sicherheitsstandards zu machen?

Unbedingt! Die Anstaltsbesuche sind ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der gesamten Tätigkeit. Leider lassen sie sich nicht immer so schnell durchführen, wie wir es gern hätten. Unser neues Team ist erst ab Juli 2011 vollständig einsatzbereit. Durchgängig und überaus kompetent und hilfreich unterstützt(e) mich meine Stellvertreterin. Die Besuche gelten selbstverständlich den Anstaltsleitungen, aber wir legen ebenfalls großen Wert auf den Meinungsaustausch mit dem Personalrat, dem Anstaltsbeirat und der Gefangenenmitverantwortung. Der Kontakt zu den Anstaltsbeiräten hat für mich eine spezifische Bedeutung, weil ich der Überzeugung bin, dass diese Gremien noch wirkungsvoller als bisher tätig sein könnten.

DVD: Der Anstaltsbeirat rekrutiert sich aus den Mitgliedern gesellschaftsrelevanter Gruppen. Er hat von daher die Möglichkeit, als Multiplikator in die Gesellschaft hineinzuwirken.

In der Tat! Der Beirat soll den Vollzug aber auch kritisch begleiten und dem einzelnen Gefangenen als Ansprechpartner – vor Ort – zur Verfügung stehen. Auf diese Weise lassen sich mitunter rechtliche Verfahren, die oft wenig ertragreich sind und viele Kräfte binden, vermeiden. Lösungen können im Rahmen unmittelbarer Kommunikation erarbeitet werden. Der Beirat könnte ferner verstärkt ehrenamtliche Mitarbeiter für den Vollzug interessieren und gewinnen.

DVD: Während Ihrer Besuche in den Vollzugseinrichtungen geben Sie den verschiedenen Gremien Gelegenheit, Missstände anzusprechen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Wenn Sie insofern von Ihrem unmittelbaren Vortragsrecht Gebrauch machen, finden Sie dann bei der politischen Spitze des Ministeriums für die Anliegen der Praxis ausreichend Gehör?

Bislang habe ich keinerlei Grund, mich zu beschweren. Freilich setze ich bei meinem Vortrag Schwerpunkte und Akzente, präsentiere also keine Litaneien. Angesprochen werden insbesondere Punkte, die entweder von der Sache her dringlich sind, wie etwa die Abschaffung der Notgemeinschaften, oder die sich bei realistischer Sicht in überschaubarer Zeit umsetzen lassen.

Ein wesentliches Problemfeld stellt die Ausbildung speziell des mittleren Dienstes im Vollzug dar. Die Nachwuchskräfte fühlen sich vielfach im Umgang mit schwierigen und mitunter aggressiven Gefangenen überfordert. Auf derartige Konfliktlagen sollte die Ausbildung verstärkt vorbereiten. Insoweit gibt es zwar keine Patentrezepte, doch sollte jeder Bedienstete im Rahmen der Ausbildung mit den unterschiedlichen Reaktionsmöglichkeiten vertraut gemacht werden, damit er sich nicht später dem Alltag hilflos ausgesetzt fühlt.

Dieses Problem verdient auch deshalb Aufmerksamkeit, weil sonst schneller zu Disziplinarmaßnahmen gegriffen wird. Vor allem im erzieherisch ausgerichteten Jugendvollzug muss die Disziplinarmaßnahme die ganz seltene Ausnahme sein, denn die viel beschworene Erziehung hat sich gerade bei Umgangsproblemen zu bewähren. Dsiziplinarverfahren sind demgegenüber für alle Beteiligten belastend und enden meist nicht im Gespräch, sondern in verschärfter Konfrontation, offen oder verdeckt.

DVD: Notgemeinschaften stellen im geschlossenen Erwachsenenvollzug nach wie vor ein beträchtliches Problem dar. Nach Fertigstellung bzw. Erweiterung der für den Jugendvollzug bestimmten Einrichtungen in Wuppertal-Ronsdorf und Heinsberg werden im Jugendvollzug voraussichtlich Kapazitätsüberhänge auftreten. Sollten diese Kapazitäten nach Ihrer Einschätzung genutzt werden, um den Belegungsdruck im geschlossenen Erwachsenenvollzug zu beheben?

Ein genau passendes Verhältnis zwischen „Angebot“ und „Nachfrage“ herzustellen, ist im Vollzugsbereich generell schwierig. Wenn es um das Verhältnis Erwachsenenvollzug – Jugendvollzug geht, ist zu beachten, dass der Jugendvollzug organisatorisch eigenständig bleiben muss und dass insbesondere die dort Tätigen für ihre spezifische Aufgabe qualifiziert sein müssen. Insofern sind einem Ausgleich, wie immer er ausgestaltet sein mag, klare Grenzen gesetzt. Selbstverständlich verlangt daneben der Erwachsenenvollzug eine akzeptable und menschenwürdige Unterbringung. Sie darf nur nicht dazu führen, dass die Essentials des Jugendvollzugs gleichsam schleichend ausgehöhlt werden. Ansonsten scheint mir eine gewisse Beweglichkeit innerhalb des AVD nichts Anstößiges an sich zu haben, im Gegenteil: Sie wird – zu Recht – für alle Berufsgruppen gefordert.

DVD: Sie hatten angesprochen, dass Sie auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vollzuges mit deren individuellen Anliegen befasst werden. Handelt es sich um eine breite Palette von Problemen, die an Sie herangetragen werden?

Manche Probleme werden recht häufig genannt, andere seltener. Zur Veranschaulichung: Fragen der Dienstwohnung, der Beförderung oder Mobbing-Vorwürfe kommen seltener, häufiger werden etwa personelle Unterbesetzungen beklagt oder es wird beanstandet, dass Mehrarbeitsstunden nicht angemessen ausgeglichen werden. Wiederholt ist uns auch vorgetragen worden, die Achtung und persönliche Wertschätzung lasse zu wünschen übrig. Sorgen bereiten schließlich die längere Vakanz von Anstaltsleiterstellen und eine ungewisse planerische Zukunft für die betreffende JVA.

DVD: Die Strafvollzugsbediensteten in der Bundesrepublik machen derzeit die Erfahrung, dass sich die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz im Zuge der Föderalismusreform I vom Bund auf die Länder als nicht unproblematisch erweist. Halten Sie diese Verlagerung eher für Fluch oder Segen oder würden Sie ein bundeseinheitliches Strafvollzugsrecht vor dem Hintergrund der europäischen Harmonisierungsbemühungen favorisieren?

Es ist kein Geheimnis, dass die von Ihnen genannte Kompetenzverlagerung seiner Zeit von der ganz überwiegenden Zahl der Strafrechtswissenschaftler und der Kriminologen scharf und nachdrücklich kritisiert worden ist. Ich hatte mich dieser Kritik angeschlossen. Doch die Politiker haben die vielen Bedenken mehrheitlich beiseite geschoben oder gar nicht beachtet. Nun haben wir eine veränderte Lage, in der wir zurechtkommen und aus der wir das Beste machen müssen. Es hilft nicht weiter, den Wandel im Nachhinein zu beklagen oder zu beweinen.

Die neue Situation birgt für Nordrhein-Westfalen auch Chancen, die es zu ergreifen gilt. Die Länder sollten nach den Vorstellungen der Verfassungsänderer die Möglichkeit erhalten, im Vollzugsbereich ein eigenes gesetzliches Profil zu schaffen. Da die Zahl der am Gesetzgebungsverfahren Mitwirkenden auf Länderebene geringer oder doch überschaubarer ist, könnte es in der Tat leichter fallen, ein Strafvollzugsgesetz „aus einem Guss“ zu formulieren. Es hätte freilich primär die verbindlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und in diesem Sinne ein Beispiel zu geben. Dabei ist ein Verbund mit anderen Ländern, der die Vielfalt der Regelungen einschränkt, nicht ausgeschlossen. Denn der Gestaltungsfreiraum für den Gesetzgeber bleibt angesichts der verbindlichen Vorgaben durchaus begrenzt. Insbesondere kann – entgegen der Auffassung mancher Kommentatoren - schon aus verfassungsrechtlichen Gründen das Resozialisierungsziel nicht in Frage gestellt werden. Entsprechendes gilt meines Erachtens für den offenen Vollzug: In dieser Vollzugsform lassen sich unstreitig die international anerkannten Vollzugsgestaltungsgrundsätze (bei uns bisher: § 3 StVollzG) am besten verwirklichen, so dass ihr vom Grundsatz her der Vorrang gebührt. Das Ziel, das es gleichsam im Wettstreit mit den anderen Ländern zu erreichen gilt, besteht demnach in einer überzeugenden und zugleich praktikablen Umsetzung der rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Verfassungsprinzipien.

DVD: Herr Professor Walter, wir bedanken uns für das Gespräch.