Das inzwischen dritte Projekt des Stadttheaters Aachen mit der JVA Aachen fand seinen Höhepunkt im Juni/Juli 2012 mit vier Vorstellungen des Stückes "Verlorenes Paradies".Zwei Aufführungen waren für inhaftierte Zuschauer und geladene Gäste von draußen und zwei weitere für theaterinteressierte Bürger (mit Kartenverkauf) bestimmt.

Die Regisseurin Ewa Teilmans arbeitete im Jahre 2010 zum ersten Mal mit Inhaftierten der JVA Aachen im Rahmen der Aufführung "Berlin Alexanderplatz". Damals wurden in der JVA erstellte Videoaufnahmen während der Theateraufführungen zugeschaltet und sorgten für ein schillerndes, authentisches Antlitz der Hauptfigur Franz Biberkopf.

Das sich nun "Die Biberköpfe" nennende Ensemble der JVA Aachen wollte unbedingt ein eigenen Stück innerhalb der Anstalt aufführen. Im Juli 2011 spielten sie das Stück "Wartesaal der Träume" für Publikum von drinnen und draußen - mit großem Erfolg.

Die inzwischen bewährte Zusammenarbeit zwischen dem Stadttheater Aachen, vertreten durch Frau Teilmans, und der JVA Aachen, in der die Anstaltspädagogin Ruth Hildebrandt für die Betreuung des Theaterprojektes zuständig ist, führte zu einem Kooperationsvertrag zwischen beiden Institutionen.

Theaterprojekt mit Bühnendarstellung

Musiker und Schauspieler stehen auf der Bühne

Resonanz - pädagogische Ziele

Der Applaus des Publikums der voll besetzten Mehrzweckhalle war bei allen vier Aufführungen überwältigend.

Nach den Aufführungen gab es die Möglichkeit zum Publikums­gespräch bei Kaffee, Softdrinks und Gebäck. Dabei wurde insbesondere die Authentizität des Stückes hervorgehoben, die den Zuschauern die zu vermittelnde Botschaft hautnah vermitteln konnte.

Einer der Schauspieler beschrieb es so: "Kein Theater über den Knast kann so authentisch sein wie Theater aus dem Knast."

Das Theaterprojekt hat nicht nur zu einem veränderten Bild der JVA Aachen in der Bevölkerung, zu mehr Transparenz eines unbekannten Ortes beigetragen, sondern mit dem Projekt wurden pädagogisch wertvolle Ziele erreicht:

  • ein hohes Maß an Selbstreflektion der Beteiligten
  • Training von Disziplin, Respekt und sozialem Miteinander
  • Förderung von Kreativität und Glaube an die eigenen Stärken
  • Therapie durch Ausdruck
  • Entwicklung der Fähigkeit, offener und ehrlicher mit sich selbst und anderen umzugehen.
Foto von Schauspielern und Musikern des Projektes

"Verlorenes Paradies"

Schließlich erarbeitete Frau Teilmans gemeinsam mit dem Schauspiel-Ensemble und der Anstaltsband "Planet AC" das neue Stück "Verlorenes Paradies". Bei der in acht Monate langer harter Arbeit entstandenen Inszenierung geht es um das persönliche verlorene Paradies jedes Einzelnen. Die Darsteller reflektieren ihre eigene Biografie, ihr Fremdgewordensein in der eigenen Geschichte. Die collageartigen Textkompositionen, alle aus dem unmittelbaren Lebensbereich eines Gefangenen, musikalisch untermalt durch ausdrucksstark interpretierte Songs der Band, spiegeln die Lebenssituation inhaftierter Menschen wider.

Es geht um Themen wie Sehnsucht, Verbote, Verlust eines geliebten Menschen, Schuldgefühle, Gewalt, Zivilcourage. Dabei werden sowohl bekannte Vorlagen als auch eigene Texte der Gefangenen in neue Kontexte gestellt. Auch die Anstaltsband spielt nicht nur bekannte Songs wie "Wish you were here" von Pink Floyd oder "Geboren, um zu leben" von der Gruppe "Unheilig", sondern auch eigene Kompositionen.

Das hohe Maß an Kreativität und eigener Gestaltung findet ebenfalls Ausdruck in einem wichtigen Bühnen-Requisit, einem von einem Mitglied der Theatergruppe selbst gefertigten Holz-Adler, der im Schlusssong der Aufführung "Flieg, weißer Vogel, flieg" die ersehnte Freiheit ausdrucksstark untermalt.

Neben den ernsten, nachdenklichen Momenten mangelte es der Aufführung keinesfalls an witzigen Szenen, besonders als einer der Schauspieler als Nina Hagen verkleidet den Song "Du hast dein Handy vergessen" sang und dabei durch die Mehrzweckhalle tobte.