Das dreizehn Leitlinien umfassende Werk steht unter dem Motto "Behandlung stärken - Resozialisierung sichern: Aktivierender Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen". Eine eigene Leitlinie ist der opferbezogenen Vollzugsgestaltung gewidmet. Sie lautet wie folgt:

Leitlinie 8: Opferbezogene Vollzugsgestaltung

Der Strafvollzug muss bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben auch die Perspektive der Opfer berücksichtigen.

In der Öffentlichkeit wird häufig beklagt, der Strafvollzug kümmere sich nur um die Täterinnen und Täter, die Opfer der Straftaten würden hingegen vernachlässigt.

Vor diesem Hintergrund ist klarzustellen, dass es im Vollzug nicht darum gehen kann, Täter und Opfer konfrontativ gegenüberzustellen, das Opfer gar gegen den Täter auszuspielen. Vielmehr gilt es, einen Ansatz zu wählen, bei dem die verschiedenen Interessen in einem Ergänzungsverhältnis stehen, wie es das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gebracht hat: Eine kriminalpräventiv wirksame Täterbehandlung ist der beste Opferschutz.

Es darf indessen nicht genügen, allein auf die jeweiligen Folgen der Täterbehandlung für das Opfer zu verweisen. Die Vollzugsgestaltung hat auch Sorge dafür zu tragen, dass die Opferbelange bei der Arbeit mit den Gefangenen als solche wahrgenommen und berücksichtigt werden. Zu ihnen zählen die Wiedergutmachung des Schadens (Täter-Opfer-Ausgleich) sowie der Opferschutz, insbesondere der persönliche Schutz für die Menschen, die zum sozialen Empfangsraum des schrittweise in die Freiheit zu integrierenden Gefangenen gehören. Abzustellen ist dabei auf die konkreten Lebenslagen und deren Gestaltung. Dabei sollten die bewährten Zuständigkeiten unverändert bleiben. Der Vollzug trägt die Verantwortung für die Regelungen im Kontext der Haft, die Opferorganisationen übernehmen die Unterstützung der Opfer, lassen die Arbeit des Vollzuges im Übrigen aber unberührt. Entscheidend sind Formen der Kommunikation und Kooperation, durch die einerseits die Vollzugsgestaltung viktimologisch ergänzt, andererseits das Leben nach der Haftentlassung derart vorbereitet wird, dass neue Gefahren vermieden werden.

Angestrebt wird eine opferbezogene Vollzugsgestaltung. Eine entsprechende Initiative betritt Neuland. Daher ist ein besonders umsichtiges und gestuftes Vorgehen geboten. Rechtliche Standorte, an denen der Opferbezug Berücksichtigung finden könnte, sind z.B. die Vorschriften zur Vollzugsplanung, zu Lockerungen, zur Entlassung (Übergangsmanagement) und zum Datenschutz.

Schon in der gegenwärtigen Vollzugspraxis werden in einigen Bereichen Opfergesichtspunkte berücksichtigt, etwa in Fällen, in welchen dem Gefangenen nahe gelegt wird, sich um Schadensausgleich zu bemühen oder einen problematischen Briefkontakt aufzugeben. Die bestehenden Ansätze sind systematisch auszubauen. Zwar bestehen bereits verschiedene Informationsrechte des Verletzten zum Vollstreckungs- und Vollzugsverlauf des Inhaftierten, die auf Antrag geltend gemacht werden können (§ 406 d f. StPO). Insoweit bedarf es jedoch einer transparenten und opferfreundlichen Praxis, die den Verletzten rasch, verständlich und situationsangemessen hinsichtlich der bestehenden Rechte informiert.